Eine bunte Wand und was man damit machen kann…

Auf einem Fotoworkshop betonte der Workshopleiter, dass es weniger um die Technik ginge, sondern mehr um das fotografische Sehen, das Gespür für Motive und wie man diese in Szene setzen kann. Eine Teilnehmerin des Workshops sagte daraufhin ganz enttäuscht: „Och, Motive erkennen und so…das ist kein Problem. Ich hadere mehr mit der Technik.“ Ich glaube, dass diese Frau das Gebiet der Fotografie nicht verstanden hat. Denn die große Herausforderung beim Fotografieren liegt im Sehen und Wahrnehmen sowie der Bildkomposition. Die Technik kann man relativ leicht lernen, aber das fotografische Sehen wird man sein ganzes Leben entwickeln, solange man sich mit der Fotografie beschäftigt. Dabei hilft es, sich mit anderen Fotografen zu vernetzen, auszutauschen und zu diskutieren.

Es kommt häufig vor, dass ich den ganzen Tag beim Radeln die Kamera dabei habe, aber kein einziges Foto mache. Und dann plötzlich mache ich Halt, weil mir etwas ins Auge springt. Und so war es bei dieser bunten Wand in Frankfurt Hausen. Ich mag diese Art der Architektur, die nicht gerade durch Schönheit glänzt, sondern mehr durch eine gewisse Skurrilität und Einfachheit. Ich spreche dann von „Profanarchitektur“ – obwohl dieser Begriff bereits anderweitig besetzt ist und nichts mit der Art Architektur gemein hat, die ich damit meine.

Der erste Schritt war schonmal getan. Das Motiv war entdeckt. Jetzt ging es um die Wahl des Fotorahmens. Man kann eine gewisse Spannung aufbauen, indem man eine perspektivische Linienführung reinbringt…..

Perspektivische Darstellung mit Linienführung

…oder man stellt sich direkt vor das Motiv und fotografiert es mit klaren horizontalen und vertikalen Linien…und das ist der Rahmen wie ich ihn bevorzuge. Ich möchte keine Spannung aufbauen, sondern eher eine gewisse Ruhe, vielleicht schon fast Gleichgültigkeit, keine Dramatik, einfach nüchternes Betrachten.

Hier kommt es auf perfekt ausgerichtete Linien in Vertikale und Horizontale an

Eine kleine Spannung entsteht lediglich dadurch, dass das Foto nicht symmetrisch ist. Die Platten sind bunt durcheinander gewürfelt, und die Lampe steht nicht in der Mitte des Fotos und ist leicht versetzt. Der Blick wandert zuerst auf die Straßenlaterne, die sich vom Motiv der bunten Wand deutlich abhebt – mit einem schwarzen vertikalen Strich.

Die nächste Frage, die sich stellt: Könnte man die Szene dadurch aufwerten, indem man menschliche Gestalten integriert?

Da sich dieses Gebäude an einer wichtigen Radroute befindet, war mehr mit Radfahrern als mit Fußgängern zu rechnen. Ich musste mich nur hinstellen und warten, bis ein Radfahrer vorbeifuhr.

Scheinbar telefonierender Radler

Der Radfahrer fügt dem Foto nun eine kleine Geschichte hinzu. Dadurch, dass man ihn durch die verwischte Bewegung (lange Verschlusszeit) nur schemenhaft erkennt, fragt man sich, was er gerade macht. Es sieht so aus, als würde er mit einer Hand lenken und mit der anderen ein Telefon ans Ohr halten. Und es sieht so aus, als wäre er entspannt und hätte es nicht eilig.

Zudem bringt er eine zusätzlich Farbe ins Spiel: blau. Der Blick wandert sofort auf die blaue Hose des Radlers.

Ebenso könnte man sich fragen, wo man einen solchen Radler am besten positioniert: mehr am rechten oder am linken Rand?

Der Radler am linken Bildrand hat eine andere Wirkung als das vorige Foto

Auf diesem Foto ist es nicht mehr so deutlich sichtbar, dass er telefoniert. Zudem radelt er direkt auf den linken Bildrand zu. Er wird bald aus dem Foto heraus geradelt sein. Das gibt dem Foto etwas mehr Unruhe. Es wirkt nicht ganz so lässig wie das vorige Foto, da hier scheinbar die Zeit mit reinspielt. Man spürt förmlich, dass er bald das Foto verlassen hat, wohingegen er bei dem obigen Foto noch etwas mehr Zeit hat, bis er den Rand erreicht hat.

Wie wird das Foto wirken, wenn eine weniger auffällige Person durch das Foto radelt?

Weniger auffällig, da die Frau eher Kleidung mit gedeckten Farben trägt

Auch hier wandert der Blick unwillkürlich zu der Radfahrerin, auch wenn sie keine auffällig blaue Hose trägt. Sie integriert sich harmonischer ins Foto als der Radler, was nicht heißen soll, dass es sich um das bessere Foto handelt. Es geht hier nicht um die Frage, welches der Foto das bessere ist, sondern wie die Fotos auf den Betrachter wirken. Interessant ist hier zudem, dass man die Person auf dem Fahrrad kaum erkennt und dennoch wahrnimmt, dass es sich um eine Frau handelt.

Natürlich gab es auch Fußgänger. Die wollen wir nicht außer Acht lassen. Wie wirkt das Foto, wenn Fußgänger durch das Foto laufen?

Eine Frau mit eine Mädchen an der Hand

Auch hier erkennt man die Bewegung durch eine leichte Verwischung der Konturen – bei der Frau mehr als beim Mädchen. Der Blick wandert hier auch sofort auf die beiden Fußgängerinnen. Auch wenn sie kurz davor sind, den rechten Bildrand zu erreichen, ist der Effekt ein anderer als beim Radfahrer. Dadurch, dass sie zu Fuß gehen, haben sie mehr Zeit bis sie den rechten Rand erreichen. Es wirkt für den Betrachter weniger unruhig als beim Radler.

Zu guter Letzt wäre noch die Frage, wie das Foto in Schwarz-Weiß wirkt.

Hier fehlt das Farbenspiel der bunten Platten

Hier treten die Lichtstreifen auf der Straße stärker in den Vordergrund – sie fallen mehr auf als bei dem bunten Foto. Dasselbe gilt für die Tüte auf dem Bürgersteig, die als weißer Punkt wahrgenommen wird. Bei Schwarz-Weiß-Fotos sehen wir anders, orientieren uns mehr an Lichtern und Schatten.

Was ich hier noch gar nicht angesprochen habe, ist – außer der Schwarz-Weiß-Darstellung – die Bildbearbeitung. Ich bearbeite meine Fotos grundsätzlich bevor ich sie veröffentliche. Ich veröffentliche niemals unbearbeitete Fotos. Ich fotografiere nur in RAW. Ein RAW-Foto wirkt zunächst flau. Man muss es entwickeln, damit es wirkt.

Dieses kleine Beispiel zeigt, wie unterschiedlich ein Motiv abgebildet werden kann und welche Wirkung das auf den Betrachter hat. Dabei habe ich hier vieles noch gar nicht angeschnitten: wie z.B. das Licht, das besonders wichtig ist bei der Fotografie. Oder das Wetter: regnet es, schneit es, ist es neblig oder trüb…..all das ergibt eine Unendlichkeit an Möglichkeiten, wie ein Motiv abgebildet werden kann.

Und das zeigt die Komplexität der Fotografie. Die Technik muss man beherrschen. Das lernt man relativ schnell. Alles andere ist ein lebenslanges Lernen.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Allgemein

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert